Statt eines Vorworts

While riding on a train goin’ west
I fell asleep for to take my rest
I dreamed a dream that made me sad
Concerning myself and the first few friends I had...

How many a year has passed and gone
And many a gamble has been lost and won
And many a road taken by many a friend
And each one I’ve never seen again

I wish, I wish, I wish in vain
That we could sit simply in that room again
Ten thousand dollars at the drop of a hat
I’d give it all gladly if our lives could be like that
Bob Dylan's Dream, 1964

Sonntag, 5. August 2012

Der Mensch, auf den du wartest


Der Mensch, auf den du wartest
Peter Maffay, 2008

Die populäre Musik, gleich ob amerikanisch oder deutsch, hat zwei Topoi, die einander begleiten wie zweieiige Zwillinge. Der eine ist der ewige Loser, der sein Schicksal tapfer erträgt, der andere ist der, der unterwegs ist Richtung Horizont, wo ihm Erfolg und Glück winken. Die deutsche Pop-Musik hat davon aufgrund ihres eigenen sozialen Hintergrundes kaum Gebrauch gemacht. Seit kurzem jedoch erscheinen vereinzelt Songs, die solche Themen aufgreifen und verarbeiten. Peter Maffay zum Beispiel, einer der erfolgreichsten Poprocker der deutschen Musikindustriegeschichte, veröffentlichte einen Song, dem er den aussagekräftigen Titel gab "Der Mensch, auf den Du wartest" und der dies beispielhaft exerziert.
http://www.youtube.com/watch?v=MHzZD4e4Lvg
Peter Maffay Der Mensch, auf den du wartest (live)

Der Song besteht aus einer Ansprache an einen Dialogpartner, der im Song selbst keine Stimme bekommt. Der Sänger belehrt ihn darüber, was im Leben zählt und wie er seinen Träumen näher kommen kann. Dazu gehört es, festzustellen, dass es nicht darauf ankommt, woher jemand kommt und aus welchen sozialen Schichten er stammt:
"Ich will nicht wissen, wo du herkommst; erzähl mir nicht, wie reich du bist;
Es interessiert mich nicht," fügt der Sänger an, "ob du König oder Bettler bist." 
Was mag dies für eine Situation sein, in der man sich mit einander bekannt macht, und dann solche Lehren verkündet? Zu welchem Zweck treffen die beiden zusammen? Warum sind sie überhaupt zusammen, was haben sie möglicherweise gemeinsam vor? Eines ist klar, der Sänger oder Sprecher gibt den Ton an und gibt die Regel für das, was dann folgen soll, vor:
"Ich möchte wissen, ob du Mut hast der Angst in ihr Gesicht zu seh'n;
und wenn du hinfällst, wirst du aufsteh'n und einfach weitergeh'n?
Und wirst du mit mir im Feuer steh'n?"

Hier wird also Mut verlangt, Mut, der Angst ins Gesicht zu sehen. Angst wovor? Angst vor dem Sturz? Angst vor dem Nicht-wieder-Aufstehen-können? Und was für eine Art von Feuer ist das, in dem beide gemeinsam heldenhaft stehen wollen? Ist es das Feuer der Ereignisse, das sie sinnbildlich umfassen wird, wenn sie beginnen, gemeinsam zu handeln? Oder ist es das Mündungsfeuer im Gefecht einer kriegerischen Auseinandersetzung? Klar ist, dass die gemeinsame Unternehmung an die Substanz geht und kein Zuckerschlecken sein wird. Welchen Sinn sollte anderenfalls die martialische Zeichnung der Umstände der kommenden Aktion machen? Ist der gemeinsame Bau eines Hauses diese kriegerische Sprache wert? Ist die Wahl der Bilder passend für ein geschäftliches Projekt im Import-Export? Spricht man so mit einander in einer Rockband, die auf Tournee gehen will?
Suggeriert wird, dass es eine Auseinandersetzung geben wird, in der sich der eine bedingungslos auf den anderen wird verlassen müssen. In der es gefährlich wird, wo langes Zögern und Zaudern nicht angesagt sein wird.

"Setz die Segel, mach die Leinen los, da draußen warten deine Träume," beginnt der Refrain und fährt fort "am Horizont ist Gold, siehst du es scheinen?" Ist dies wieder im übertragenen Sinne zu verstehen? Meint das Bild vom Gold am Horizont den verdienten Lohn für die bevorstehenden Anstrengungen oder gilt es, eine Position zu erobern, in der man Gold finden oder rauben kann? Piraten könnten so reden, Conquistadores stacheln so ihre Mitstreiter an. Arme Schlucker vielleicht, Männer mit wenig Perspektive, die alles auf eine Karte setzen müssen und ihre Angst ignorieren, um an ihr großes Ziel zu kommen? Männer auf einer Mission, Richtung Horizont, Richtung Zukunft. Es gibt nur eine Richtung, vorwärts, und es gibt keinen Moment der Angst, der ein zurückweichen rechtfertigen würde, wenn die Kameraden weitergehen:
"Niemand kann dir nehmen, was du bist" setzt der Sprecher nach und weiß unsinnigerweise genau, dass "deine Kraft unendlich ist." Und dann: "Der Mensch,auf den du wartest, der bist du, nur du." Genau, ihm hört ein Mann zu, der nichts mehr zu verlieren hat, der vielleicht an seiner Kraft gezweifelt hat, dem nun aber Mut gemacht wird, sich selbst zu vertrauen, weil es sonst kein anderer für ihn tut. 

Es sind dies alles Appelle voller Endgültigkeit und ohne jede Alternative. Was wäre, wenn der Angesprochene sich verweigern würde? Welche Perspektiven scheint er dann nach Auffassung seines Motivators noch zu haben? Nicht zu viele, so scheint es. Und so soll er alles auf eine Karte setzen und in der Gruppe der Mutigen und Entschlossenen seinen Weg zum goldenen Horizont freikämpfen. Welche Situation im unserer friedlichen zivilen Gesellschaft ist denkbar, die ein solches Szenario rechtfertigt?

"Mir ist nicht wichtig, ob du schön bist oder die Titel, die du trägst," ergänzt der Sprecher, wobei nicht ganz klar ist, was Aussehen und Titel zu bedeuten haben sollten für die Tauglichkeit des Anwärters auf einen Platz im Team.
Vielmehr wird klar, dass diese zivilen Spielereien keine Rolle spielen. Im Angesicht der Gefahr, mitten im Feuer, zählen diese Dinge nicht, "und mir ist ganz egal, in welchem Land du dich nachts schlafen legst, erzähl mir nicht, dass andere Schuld sind," wehrt er knallhart jeden ungeschickten Rechtfertigungsversuch ab. Es klingt wie der Ehrenkodex der Fremdenlegion, der Marines, der einsamen harten Kämpfer für die Freiheit, deren Leben nicht viel wert ist, wenn es zum Kampf kommt. Die Analogie zum Legionärsschicksal ist wiederum interessant, weil es die Überhöhung des Teamgedankens in eine verschworene Kampfgemeinschaft ein weiteres Mal als Motiv aufnimmt und nicht etwa relativiert oder abschwächt. "Denn alles fängt nur bei dir an, und mir ist ganz egal, wer du bist, solang ich dir vertrauen kann." 

Der Song, der in seinem Titel zu verheißen scheint, einem Menschen zu zeigen, wie er mit einem anderen glücklich werden kann, zeichnet ein konfliktreiches Bild von Gefahr, Korpsgeist und Mut. Damit geht Maffay weit darüber hinaus, dem Zuhörer zu sagen, er möge sich auf seine eigenen Kräfte besinnen, um seine Ziele zu erreichen. "Niemand hilft dir, wenn du dir nicht selber hilfst" könnte die schlichte Botschaft lauten, statt dessen spricht der Song ganz andere, weiter gehende Situationen und Streßsituationen an, die mit dem Problem mangelnden Selbstvertrauens kaum etwas zu tun haben. 

Das hier, so sagt er, ist mehr als das. Natürlich gilt, dass der persönliche Erfolg immer nur in einem Menschen selbst beginnen kann, bei seiner Motivation, bei seinem Mut, bei seiner Fähigkeit zur Loyalität, bei seinem Vorstellungsvermögen für die wartende Belohnung. Aber Maffay belässt es nicht dabei, sondern geht mehrere Schritte weiter. Ein sehr männlicher, ein sehr kämpferischer Text, der die männliche Perspektive (über)betont und keinen anderen Ton aufnimmt als diesen einen. Die Einsicht, die er fordert, zumindest aber anbietet, ist nicht das eigentliche Ziel für den Sprecher in diesem Song, sondern sie ist die Voraussetzung für etwas Anderes, für etwas Weitergehendes. Es ist am Ende die Logik des Kriege(r)s. 

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