Statt eines Vorworts

While riding on a train goin’ west
I fell asleep for to take my rest
I dreamed a dream that made me sad
Concerning myself and the first few friends I had...

How many a year has passed and gone
And many a gamble has been lost and won
And many a road taken by many a friend
And each one I’ve never seen again

I wish, I wish, I wish in vain
That we could sit simply in that room again
Ten thousand dollars at the drop of a hat
I’d give it all gladly if our lives could be like that
Bob Dylan's Dream, 1964

Montag, 17. September 2012

Alexandra leaving

Alexandra leaving
Leonard Cohen

Leonard Cohen ist in jeder Weise eine einzigartige Erscheinung innerhalb der Welt des Musikgeschäftes. Ähnlich wie Bob Dylan, Paul Simon oder andere wichtige Songwriter der letzten 50 Jahre, kann er auf ein profundes Fundament literarischer Bildung und Erfahrung zurück greifen. Sein Bildungshintergrund und sein eigentliches Bestreben, ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden, hat seinem Songwriting  von Beginn an eine eigenständige Wertigkeit verliehen, an die zum Beispiel Dylan mit seinem intuitiven Genie herankam, es aber so nie erreichte. Cohenites wissen um die Schwierigkeit, sich den Texten des Meisters zu nähern, ohne sich für eine eingehende Textrecherche zu wappnen. So stellt sich beispielsweise in dem Song "Alexandra leaving" von 2001 die Frage, warum Cohen in diesem Zusammenhang so ausdrücklich auf einen griechischen Dichter namens Constantin Cavafy verweist. Ein Blick auf die leonardcohenfiles im Internet offenbart dann, dass dieses eher unscheinbare Lied eine Übernahme und kreative Aneignung eines Gedichtes von Cavafy ist, das sich wiederum auf die von Plutarch aus der Antike überlieferte Geschichte des Mark Anton bezieht, Gegenspieler des späteren Kaisers Augustus und Geliebten der sagenumwobenen Königin Ägyptens, Cleopatra. 
Cohen hat sich das Gedicht Cavafys zueigen gemacht, weil er erkannte, wie schnell es durch einfache Verschiebungen der Bedeutungen und der Darstellung von einer Literarisierung einer historischen Begebenheit zu einer Poetisierung einer zwischenmenschlichen Beziehung umzudeuten wäre. Auf solche und andere Weise hat sich Cohen immer wieder bekannte Stoffe oder Motive der Weltliteratur oder der Bibel zunutze und zu eigen gemacht.  Der Blick auf die Cavafy-Vorlage klärt vieles. Und dennoch ist der Text eine originäre Leistung Cohen, der ihm eine völlig andere Richtung und eine völlig andere Tiefe gibt. (Deshalb wird dieser Rückgriff hier wenig gewagt werden.)

Suddenly the night has grown colder,
The god of love preparing to depart.

Suddenly, unvermittelt und überraschend, führt Cohen uns in eine nächtliche Situation, in der sich trotz inniger Nähe und Leidenschaft zwischen zwei Menschen langsam etwas zu verändern beginnt. Plötzlich bricht Kälte herein, plötzlich spürt Alexandras Liebhaber eine Kälte, diese er sofort darauf zurückführt, dass Amor, der Gott der Liebe, dabei ist, sich von ihm zurückzuziehen. Der launische, verspielte Gott scheint ihm unvermittelt seine Gunst entziehen zu wollen. Alexandra liegt noch bei ihm, an seiner Schulter, scheinen sie die Wächter der Herzen zu umgehen, Alexandra hoisted on his shoulder, they slip between the sentries of the heart. Etwas geschieht mit ihnen und er scheint derjenige von beiden zu sein, den diese Ahnung beschleicht.
Gerade eben waren sie noch getragen von der Einfachheit, von der Selbstverständlichkeit des (sinnlichen) Vergnügens, sie sahen das Licht, vielleicht das des gemeinsamen Morgens, und fühlten sich unendlich gelöst, geborgen in fast unvorstellbarer Dimension, gingen sie auf in den Stimmen und dem wein:

Upheld by the simplicities of pleasure
They gain the light, they formlessly entwine
And radiant beyond your widest measure
They fall among the voices and the wine

Ein kalter Hauch streift ihn und er spürt, lange bevor dazu auch nur ein Wort gesagt ist, dass diese Situation, diese gemeinsame Situation nicht mehr von langer Dauer ist. Und schon ist er sich sicher, dass dies kein Irrtum ist, keinem Trick, dem er zum Opfer fällt. A fitful dream, the morning will exhaust, ein unruhiger Traum, der am Morgen beendet ist. Nimm Abschied von Alexandra, weiß er schon, sag auf Wiedersehen zu Alexandra, die du verloren hast:

Say goodbye to Alexandra leaving
Then say goodbye to Alexandra lost.

Als das Entsetzen ihn packt, ruft er sich selbst zur Ordnung: 

Auch wenn sie in deinem Bett schläft,
Auch wenn sie dich mit einem Kuss weckt. 
Sag nicht, dass du es dir so vorgestellt hast,
Lass dich nicht dazu hinreißen.

Es ist dies eine Situation, in der Gefühle und Gedanken in verschiedene Richtungen gehen. Woher er diese plötzliche Einsicht nimmt, wird nicht klar, das Sänger-Ich gibt darüber keine Auskunft, es ist eine intuitive Wahrnehmung, die er mit niemandem teilen kann. Ohne sich mit ihr, mit Alexandra darüber auszutauschen, legt er sich schon zurecht, wie er mit der Situation, mit Trennung und Verlust wird abfinden können:

Geh wie jemand, der sich schon lange auf diesen Tag vorbereitet hat,
Geh ruhig ans Fenster, nimm es hin,
Wunderbare Musik. Alexandra lacht.
Deine Verabredungen für die Zukunft sind wieder planbar.

Bleib cool, zeig deine Gefühle nicht, mach es dir und ihr nicht schwerer, als es sein muss, sagt er sich und konzentriere dich wieder auf dich selbst. Er gibt auf, er gibt auf, was sie hatten, ohne dass sie gefragt wurde, ohne dass sie auch nur ein Wort dazu sagen kann. Es ist eigentlich mehr ein Selbstgespräch des Mannes in der Beziehung als ein Zwiegespräch des Paares, das sie eben noch waren. Gibt er die Beziehung auf, bevor es tatsächlich weitergehen kann, bevor es ernst wird. Bevor er vor allem sich an die Frau in seinem Bett bindet, bevor es keine Alternative mehr gibt? Er überhöht die Beziehung zu Alexandra, er macht sich klein und erklärt die Beziehung für zu groß für sich:

Und du, der die Ehre hatte, mit ihr den Abend zu verbringen,
Und dem die eigene Ehre durch sie gerettet wurde, -
Sag du auf Wiedersehen zu Alexandra, die geht,
Alexandra wird mit ihrem Gott gehen,

Alexandras Gott - wer ist er? Der Gott der Liebe? Der Gott der Liebe, der im Begriff ist, mit Alexandra zu gehen? Liebt Alexandra ihn nicht oder nicht so, wie er es sich wünscht? Man erfährt es nicht, man sieht dem Mann dabei zu, wie er die Beziehung kurzerhand für beendet und überhaupt unmöglich erklärt, weil er nicht die Liebe sein kann, die sie sucht. Das weiß er, das sagt nicht sie. Der Verlust, der hier beschrieben ist, ist ein freiwilliger, ein Aufgeben, eine Kapitulation vor den in der Zukunft liegenden Möglichkeiten. Und er weiss es, er kennt sich ja:

Wie jemand, der sich schon lange auf die Gelegenheit vorbereitet hat;
In vollem Bewusstsein jeden Plans, den du ruiniert hast -
Red dich nicht raus wie ein Feigling,
Der Ursache und Wirkung nicht unterscheidet.

Du, so fährt er fort, der verwirrt wurde durch eine bedeutungsvolle Aussage, dessen persönlicher Code geknackt wurde, der nicht ans Kreuz geschlagen wurde, sag du auf Wiedersehen zu Alexandra. In diesem Selbstgespräch findet weniger, wie viele Interpreten vermuten, die Geschichte eines Verlustes statt, sondern vielmehr die einer Selbstaufgabe, eines Verzichtes. Eines freiwilligen Verzichtes. Über die Beweggründe, über die Motive kann man nur spekulieren, weil diese hier nicht angesprochen werden. Das Wissen um die Vergeblichkeit und die Vorbestimmtheit des Ausgangs der Affäre entzieht ihr von vornherein jede Lebenschance. Dieses Leben, so sagt der Sänger, ist nicht meines, nicht unseres. Dieses Leben ist deines und ich habe darin keinen Platz. Er selbst ruiniert wieder einmal alle Pläne und alle guten Aussichten, er selbst schlägt sich ans Kreuz und sucht feige Ausflüchte, auch wenn er das Gegenteil beteuert. Am Ende ist Alexandra die Verlassene, deren Liebe zurückgewiesen wird, weil er spürt, dass ihre Liebe nicht vertrauenswürdig und haltbar über das Morgengrauen hinaus ist. Hier liegt die Tragik des Liedes verborgen, hier endet der Anspruch eines Mannes auf Erfüllung in der Liebe. 


http://www.youtube.com/watch?v=S-V9UvJZKIY
Alexandra leaving, live, Sharon Robinson in Amsterdam 21.8.2012, schön...

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