Statt eines Vorworts

While riding on a train goin’ west
I fell asleep for to take my rest
I dreamed a dream that made me sad
Concerning myself and the first few friends I had...

How many a year has passed and gone
And many a gamble has been lost and won
And many a road taken by many a friend
And each one I’ve never seen again

I wish, I wish, I wish in vain
That we could sit simply in that room again
Ten thousand dollars at the drop of a hat
I’d give it all gladly if our lives could be like that
Bob Dylan's Dream, 1964

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Albany


Albany
Roger Whittacker, 1977
Für E.G., von Profi zu Profi

Der deutsche Schlager ist schon lange nicht mehr das, was er einmal war. In den 50er und 60er Jahren diente er dazu, die Erinnerungen an 1000 Jahre Geschichte zu übertünchen und dann die Erfolgsgeschichte des Wiederaufbaus mit sentimentalen und erheiternden Gesängen aufzufrischen. Dabei ging voll und ganz die Tradition der 20er und 30er Jahre verloren, als sich populäres deutsches Liedgut auch durch freche, frivole, witzige und lebensnahe Texte auszeichnete. In den 70ern entdeckten zahlreiche Sänger die Möglichkeit, erfolgreiche englischsprachige Lieder zu covern und mit deutschem Text versehen ein weiteres Mal zum Hit zu machen.
Ein Beispiel dafür ist der Engländer Roger Whittacker, der seit Ende der 60er Jahre riesige Erfolge in Deutschland einheimste, obwohl er bis heute kaum der deutschen Sprache mächtig ist. 1977 veröffentlichte er in deutscher Sprache den Song "Albany", der bis heute eine seiner erfolgreichsten Veröffentlichungen geblieben ist. Vorlage dieses Liedes ist ein schottisches Traditional gleichen Titels. Die Autoren der deutschen Version bedienten sich des Handlungsgerüstes des Originals und gaben ihm eine kleine, aber entscheidende inhaltliche Wendung. 

"Albany" erzählt in der deutschen Fassung die Geschichte der Brüder Charles und Gordon McKenzie, die auf der Burg ihrer Familie, Albany, lebten. Mit einem gewagten Kunstgriff teilen die Autoren Refrain und Verse in unterschiedliche persönliche Perspektiven:

Albany, in deinen Mauern war ich einst zuhause,
Albany, Schloss meiner Vater, das ich geliebt,
ach, könnt' ich dich nur einmal wiedersehen.

heißt es im Refrain in der Ich-Form, um dann in der dritten Person fortzufahren:

Charles und Gordon waren zwei Brüder,
sangen als Kinder die gleichen Lieder,
jagten gemeinsam in den Wäldern.

Der Perspektivwechsel ist dramaturgisch, wie sich dann zeigt, gar nicht notwendig, wird aber durchgehalten. Die beiden Brüder Charles und Gordon sind offenbar ein Herz und eine Seele, bis eine Frau, beziehungsweise ein Mädchen zwischen sie tritt. Offen bleibt schon hier, ob die Bezeichnung der Schönen als Mädchen eine Alterskennzeichnung ist, die auch auf das Alter der Brüder schließen lassen könnte, sie somit vielleicht noch Jungen oder Jugendliche sind. Heißsporne, Söhne einer einflussreichen wohlhabenden Fürstenfamilie, die in einen Streit um die schöne Unbekannte geraten:

Charles und Gordon waren zwei Brüder,
man sagt, einer stach den andern nieder,
doch ihren fairen Kampf sah keiner.

Zwar sah niemand den Kampf, dennoch ist klar, dass es einen fairen Kampf gegeben habe. Inwieweit ein fairer Kampf, der einem Kämpfer am Ende das Leben kostete, ungesühnt bleiben könnte, bleibt als Streitpunkt natürlich außen vor. Suggeriert wird hier eine naturrechtliche Angemessenheit des Kampfes um die Hand eines Mädchens, die am Ende mit der Rechtsauffassung der ständischen Gesellschaft kollidiert:

Wie ein Mörder musste Gordon fliehen,
kein McKenzie hat ihm je verziehen,
rastlos zieht er umher, findet keinen Frieden.

Die Tragik des Falles scheint nach Auffassung der Erzähler darin zu bestehen, dass der Täter eigentlich kein Mörder sei, gleichwohl aber so behandelt wird und keinen Weg in den Schoß der Familie zurück mehr gewiesen bekommt. Tatsächlich aber hat er sich zumindest des Totschlags schuldig gemacht und muss völlig zurecht eine Strafe auf sich nehmen. Er trägt eine Schuld an den Ereignissen und entzieht sich den Folgen seiner Handlungen. Eine seltsame Verdrehung der Verhältnisse, wenn er von den Erzählern der Geschichte quasi freigesprochen und seine Flucht vor dem Arm des Gesetzes gerechtfertigt wird.

Auch werden keine weiteren Anhaltspunkte geliefert, die für eine Entlastung des Täters sprächen. War es Notwehr? War es Selbstverteidigung? Hatte das Opfer die Waffe als erster eingesetzt? Was war dem Kampf vorweg gegangen? Welche Rolle spielt das Mädchen dabei? Hatte sie sich schon für einen der beiden Brüder entschieden? Hat sie womöglich den Kampf provoziert? Was wurde aus ihr im Anschluß? Aus solchen Hinweisen, die gewiss noch Platz in einem Text gefunden hätten, hätte sich eine tragische Verwicklung und Entwicklung konstruieren lassen. So aber ist der Fall letztlich ungeklärt und das Schicksal des Täters, verstoßen muss er nun in der Fremde sein Leben fristen, kann romantisch verklärt werden. 
Das englische Original erzählt eine andere Geschichte, die auch nicht frei von Widersprüchen, jedoch darin wenigstens konsequent ist. Demnach sind die beiden Brüder so gegensätzlich wie ein goldener Adler und ein dunkler Rabe:

Gordon was the eldest son,
a golden eagle so the story runs.
His brother Charles, dark as a raven.

Hier könnte sich der Konflikt um die Rolle im Clan drehen, der jüngere Sohn, von Natur aus der problematischere der beiden, neidet dem älteren Bruder die Stellung und seine Anerkennung als Mann. Darüber kommt es zum Streit, der jüngere greift an und wird besiegt:

One night in jealous rage and spite,
the raven struck with all his might.
The eagle turns as quick as light
and slew the raven.

Angetrieben von seiner Eifersucht und seinem Zorn schlägt der Jüngere zu, doch der schnellere Bruder ersticht ihn in Notwehr. An dieser Stelle wendet sich die Schilderung des Songs völlig. Denn als die Männer des Königs, des englischen Königs, des Besetzers Schottlands, den Kopf des Täters fordern, stehen die Highland Clans zusammen und leisten Widerstand:

Mc Kenzie’s life“ they cry and „all his land.“
Silent clansmen stand motionless together.
An English king won’t have a highland man.

Aus dem persönlichen Konflikt innerhalb der Familie wird unversehens die Auseinandersetzung mit der Besatzungsmacht. Das Recht der Highländer steht gegen das Gesetz der Besatzer. Im Kampf der Clans gegen die Männer des Königs wird vor allem das Recht der Schotten verteidigt, diesen Fall selbst klären zu können.

So the king by his decree,
did raze and fire poor Albany,
to let the people see his power.
But Highland justice still prevails
and according to the clansmen tales
A golden eagle nest forever in her tower.

Der McKenzie Clan zahlt einen sehr hohen Preis, wenn die englischen Soldaten dieStammburg Albany dem Erdboden gleichmachen und die Macht der McKenzies brechen. Es ist nicht ausgemacht, wie die Gerechtigkeit der Clans über den Fall gerichtet hätte, diese Frage wird durch den politischen Konflikt überlagert. Es ist aber anzunehmen, dass die besonderen Umstände der Tat und ihre Vorgeschichte keineswegs dasselbe Todesurteil verlangt hätten, wie es die Engländer tun, die laut "McKenzie's life" verlangen. 

Das Schicksal der McKenzies und ihrer Burg Albany wird zur Legende, so erzählt das Lied weiter. Der Adler-gleiche Sohn, der vermutlich im Kampf mit den englischen Häschern das Leben verlor, lebt der Sage nach in den Ruinen der Burg weiter, "a golden eagle nest forever in her tower," "just like a song, that lasts forever." die Tragik der Erzählung resultiert aus dem unverschuldeten Ablauf der Ereignisse. Gordon McKenzie, der erfolgreiche, glückliche Erbe des Clans, verteidigt sich gegen seinen neidischen Bruder, tötet ihn im Zweikampf in Notwehr und verliert am Ende alles. Ebenso wie seine Familie und die Clanangehörigen. 

Der Konflikt ist grösser, die Folgen sind dramatischer, die Schicksale sind tragisch - die Verengung in der deutschen Version nutzt typische Elemente des Schlagers, um den Konflikt beherrschbar zu machen, um das Einfühlen und Mitfühlen des Hörers leichter zu machen. Gleichzeitig aber rückt die Geschichte aus der Erlebnis- und Erfahrungswelt der Hörer heraus, weil Ort und Zeit der Geschichte nichts mehr mit der ihrigen zu tun hat. Auch der Verlauf der Konfrontation und ihre Motivation übersteigt am Ende bei weitem das, was der zeitgenössische Schlagerfreund in seinem Leben in Fällen unerwiderter Liebe oder der Niederlage im Werben um das Herz der Liebsten erleben dürfte. Gerade dies macht dann die Exotik der Geschichte aus, ihre offenkundig anders gelagerte Auffassung von Schuld und Sühne, Verantwortung und Gemeinsinn scheint den Verlauf plausibel zu machen. Dem Schlagerfreund hat es gefallen. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen