Statt eines Vorworts

While riding on a train goin’ west
I fell asleep for to take my rest
I dreamed a dream that made me sad
Concerning myself and the first few friends I had...

How many a year has passed and gone
And many a gamble has been lost and won
And many a road taken by many a friend
And each one I’ve never seen again

I wish, I wish, I wish in vain
That we could sit simply in that room again
Ten thousand dollars at the drop of a hat
I’d give it all gladly if our lives could be like that
Bob Dylan's Dream, 1964

Sonntag, 25. November 2012

I am I said - I am what I am


I am I said / Neil Diamond, 1971 
I am what I am / Gloria Gaynor, 1983

Anfang der 70er Jahre war die Karriere des amerikanischen Sängers und Entertainers Neil Diamond, so wird erzählt, in eine Krise geraten. Auf dem Höhepunkt dieser Krise schrieb er einen Song, „I am I said“, der zum einen ein beeindruckendes Comeback einleitete und zum anderen bis heute ein akustisches Rettungssignal für Menschen bedeutet, die sich ebenfalls in einer kritischen Lebensphase befinden. Gloria Gaynor, eine ebenfalls amerikanische Sängerin, veröffentlichte 1983 ihre Version eines Hits aus dem Musical „Ein Käfig voller Narren", „I am what I am“, der zu einem ihrer größten Erfolge wurde. Diese beiden Songs sind unter allen recherchierbaren „I am“-Songs die bekanntesten, trotz Eminem oder Christina Aguilera. 

Sowohl der Diamond-, wie auch der Gaynor-Song suggerieren zunächst ein hohes Maß an Selbstgewissheit und Sicherheit bei der Beantwortung der Frage "Wer bin ich?" beziehungsweise "Wer bist Du?" So lassen sich beide Songs auch mitsingen und zelebrieren, Hymnen der Selbstgewissheit und Selbstbehauptung. Doch was sagen die Texte dazu, abseits aller biographischen oder Genre-Einordnungen? 

"I am I said" hat eine zunächst günstige oder optimistische Beschreibung der Situation als Ausgangspunkt. Der amerikanische, hier vor allem der kalifornische Traum ist in Erfüllung gegangen, der Erzähler lebt in Los Angeles. Das Wetter ist schön, die Palmen gedeihen, die Mieten sind günstig, die Stimmung ist lässig-entspannt:

L.A.'s fine, the sun shines most the time
And the feeling is "lay back"
Palm trees grow and rents are low

Und doch ist die innere Situation eine gänzlich andere. Offenbar denkt er, der Erzähler/Sänger, seit längerem darüber nach, dieses Paradies an der Westküste zu verlassen. Er denkt darüber nach wieder an die Ostküste zu gehen, nach New York, wo er geboren wurde und aufwuchs:

But you know I keep thinkin' about
Making my way back

Well I'm New York City born and raised
But nowadays,
I'm lost between two shores
L.A.'s fine, but it ain't home
New York's home,
But it ain't mine no more

Doch über all die Jahre hinweg, in denen Los Angeles zum Ort des beruflichen Erfolges wurde, sind die alten Bindungen an New York verschwunden. Los Angeles ist noch nicht, New York ist nicht mehr die Heimat, beide Orte, die dem Vernehmen nach gegensätzlicher nicht sein könnten, bieten ihm keine Perspektiven mehr. Doch warum sollte das so sein? Warum sollte sich der Erfolg in der einen Stadt nicht auch in der anderen einstellen? Vor allem, wenn die andere die eigentliche Heimatstadt ist? Im Refrain sprich er es aus, woran er leidet, wo die Ursache für das Dilemma zwischen den Küsten in den USA für ihn liegt. Es geht nicht um die Menschen dort draußen, die ihn bedrängen und behindern, nein, sein Problem liegt bei ihm selbst, in ihm selbst. Und er versteht es nicht:

"I am"... I said
To no one there
And no one heard at all
Not even the chair

"I am"... I cried "I am"... said I
And I am lost and I can't
Even say why
Leavin' me lonely still

"I am", sagt er, ruft er. "I am", nicht aber "I am a successful singer, respect me" oder Ähnliches. Er stellt nur fest, "Ich bin es, Ich bin da, es gibt mich, ich existiere". Aber, und das könnte sein Hauptproblem sein, es gibt offenkundig niemanden, der es hört, der ihm zuhört, der es zur Kenntnis nimmt, nicht einmal der Stuhl. Was also mag es sein, was ihn in diese Situation gebracht hat? Er spricht niemanden anderen an, er deutet keine Trennung, kein Verlassen-sein, kein Drama an - nur seine Einsamkeit, seine im wahrsten Sinne trostlose Lage. Wenn aber das Problem dieser Einsamkeit nicht darin liegt, keine Liebe zu empfangen, dann ist es womöglich das, dass er den Glauben an sich selbst verloren haben könnte, den Glauben daran, mit seinen Problemen allein fertig werden zu können. Vielleicht sogar mit der Tatsache, erstmals überhaupt dort Probleme zu haben, wohin er gereist war, um ein für allemal alle Probleme des Lebens erfolgreich zu lösen. Um die Situation zu erklären, erzählt er eine interessante Geschichte, er zitiert ein Märchen und sagt, diese Geschichte könne man mit wenigen Änderungen als seine verstehen:

Did you ever read about a frog
Who dreamed of bein' a king
And then became one
Well except for the names
And a few other changes
If you talk about me
The story's the same one

Die Geschichte vom überraschenden Erfolg, der den Protagonisten völlig überwältigt und überrascht. Die Geschichte, die den Protagonisten auf seinem märchenhaften Weg an die Spitze zeigt und dann endet. Doch für ihn geht sie weiter, er muss nun die Last des Erfolges tragen, er allein muss nun die Erwartungen des Volkes an den König erfüllen. Diese Erwartungshaltung hat ihn erschöpft, hat ihn an den Rand seiner Leistungsfähigkeit geführt. Er fühlt nur noch die Leere in sich:

But I got an emptiness deep inside
And I've tried
But it won't let me go
And I'm not a man who likes to swear
But I never cared
For the sound of being alone

Auf der Höhe seines Erfolges als König (des Pop) empfindet er nichts mehr als Leere, egal, wie sehr er dagegen ankämpft. Und zum ersten mal hört er die Stille, die ihn umgibt, den Klang seiner Schritte in der leeren Wohnung, wo ihn niemand hört und ihm niemand zuhört. Wenn das Märchen vom Frosch und dem König ein happy end hatte, dann hat diese Geschichte keine glückliche Pointe. "I am" wiederholt er immer und immer wieder, aber das Echo wiederholt es nur und bringt es ihm zurück, ohne dass er eine Antwort auf die Frage bekäme, was ihn in diese schlechte, aussichtslose Lage gebracht hat. Er weiß es nicht, "And I am lost and I can't Even say why." Er sucht nach einer Antwort auf die Frage, ohne einen Schuldigen zu benennen, er schiebt die Schuld nicht von sich, aber er steht zunächst ratlos vor seinem chaotischen Gefühlsleben, das ihm nicht mehr die gewohnte Sicherheit und Lässigkeit gewähren will. 

Einsamkeit und Leere, Ausweglosigkeit und Ratlosigkeit sind die Themen des Songs, der kein erträgliches Bild von Erlösung und Rettung durch ein liebendes Herz zeichnet, sondern die Folgen beschreibt, die es hat, wenn man eben dieses liebende Herz nicht gefunden hat. Wenn keine Freunde da sind, die den Fallenden stützen, die ihm zuhören und wieder ins Gleichgewicht bringen. Für einen Popsong ist dieser Verzicht auf ein happy ending ungewöhnlich. Normal wäre die glückliche Fügung gewesen, der Hinweis auf eine unerfüllte Liebe, der die ganze Hoffnung und der verbliebene Optimismus gilt. All das fehlt hier, hier findet sich der Erzähler konfrontiert mit seiner Situation und ist nicht in der Lage, sie zu meistern. Das "I am I said" ist ein trotziges, trauriges, das um Verstehen und Hilfe bittet.

Anders die Musical-Variante, der Gaynor-Hit "I am what I am." Hier behauptet sich jemand, der sich anders fühlt als all die anderen, hier fordert jemand sein Recht aufs Anders-sein ein und beteuert immer wieder "I am what I am", „aussichtslos von mir zu verlangen, ich solle mich ändern.“ Hier hat jemand de Erfahrung von Ablehnung und Kritik gemacht und will sich dem nicht unterwerfen:

Give me the hook or the ovation
It is my world
That I want to have a little pride in
My world
And it is not a place I have to hide in
Life is not worth a damn
Till you can say
I am what I am

Hier geht jemand seinen eigenen Weg und erklärt kurzerhand sein Leben zu seiner ganz eigenen Welt, in dem eigene Regeln herrschen und wo sich niemand verstecken muss, wo der Stolz auf sich selbst möglich ist. Die Feststellung, " ich bin, was ich bin" rührt von der Abgrenzung her, zieht klare Grenzen zwischen dem Ich und den anderen und erklärt den Kampf darum für gewonnen:

Life is not worth a damn
Till you can say
I am what I am

Your life is a shame
Till you can shout out
I am what I am

Es geht um Selbstbehauptung, um Durchsetzung, um Anerkennung. Die Ansage ist klar und deutlich: Das Leben ist erst etwas wert, wenn mir gestattet wird, mich zu mir selbst zu bekennen. Nur: Bedeutet dies, dass einem dieses Recht gewährt wird oder steht es einem zu? Nimmt man es sich oder lässt man es sich geben? Und was geschieht, wenn es einem am Ende doch nicht zugestanden wird? Wie will man es durchsetzen? Wie kann mein sein Recht einklagen? Die Forderung ist klar, sie liegt unmissverständlich auf dem Tisch und ist eigentlich nicht verhandelbar. Doch darauf kein Verweis, kein Wort deutet in die Richtung, dass hier Menschenrecht eingefordert wird, das nicht verhandelbar ist. 

Diese Energie hat sich offenbar aus einem Übermaß an Widerstand, an Unterdrückung aufgebaut. Sie bricht sich nun ihre Bahn und fordert selbstbewusst und unmissverständlich ihr Recht ein. 
Freiheit, die dem einen verweigert wird, Rechte, die den einen vorenthalten werden, könnten auch dem anderen einmal verweigert und vorenthalten werden. Schlag die Trommel laut, spiel deine Karten aus und spiel das Spiel mit - aber spiele es, um zu gewinnen, spiele es, um deinen Wert anzumelden:

I am what I am
I don't want praise I don't want pity
I bang my own drum
Some think it's noise I think it's pretty

Das Leben will offensichtlich in vollen Zügen genossen werden und der Einzelne darf sich ausleben:

I deal my own deck
Sometimes the aces sometimes the deuces
It is one life and there's no return and no deposit 

Der Preis ist hoch, denn da gibt es nur ein Leben, es gibt keine Rückfahrkarte und keine Kaution, die hinterlegt werden könnte als Absicherung.

Im Gegensatz zu der Vereinsamung des Erzählers im Neil Diamond-Song, klopft der Erzähler im Gaynor-Song laut und vernehmlich an die Tür der Gesellschaft und fordert seine Teilhabe ein. Hier die Vereinzelung und das Verstummen in der Einsamkeit, dort die fröhliche Eroberung der Gesellschaft und des Lebens. Beide wissen sie, was und wer sie sind, beide kennen sie ihren Wert. Doch während der eine den Glauben an sich selbst und eben diesen Wert verloren hat, ohne einen Ersatz dafür finden zu können, ist sich der andere seiner selbst völlig sicher und mit sich völlig im Reinen. Gegensätzlicher könnten die Positionen kaum sein. Erfolgversprechender jedoch die Behauptung in Gaynors Song auch nicht: "I am what I am."

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